KHG-Symposium 2014: Ausverkauf des Menschen!? (Archiv)
Gesellschaft, Wirtschaft und Ethik im Gespräch
Die Menschen sind über die Moral in den Märkten und das Verhalten von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sehr beunruhigt. Dies haben zum einen der Verlauf und die Podiumsdiskussion zum Abschluss des Symposiums deutlich gemacht. Bestätigt wird dies auch durch Befragungsergebnisse vom Institut für Demoskopie Allensbach. Danach sagen über 60 Prozent der Deutschen, dass die soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren abgenommen hat. Auch nimmt die Zahl derer, welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eher für nicht gerecht halten, in den letzten Jahren zu. Wirtschaft, Politik und Wirtschafts- und Finanzwissenschaften sollten diese Unzufriedenheit und das Verlangen der Menschen nach Berücksichtigung von Verantwortung gegenüber der Gesellschaft sehr ernst nehmen, so der Appell von Hochschulpfarrer Dr. Karl.
Franz Müntefering: Gesellschaft braucht Werte und Leitplanken
Zu Beginn der Veranstaltung hat der ehemalige Vizekanzler und Bundesminister Franz Müntefering in einem eindrucksvollen Impulsvortrag gemahnt, dass eine Gesellschaft Werte und Leitplanken braucht. „Der Markt ist nicht schlecht, er muss aber klare Regeln haben und die Politik sowie die Gesellschaft müssen für deren Einhaltung sorgen“, so Münteferings klare Position zur Verantwortung in Wirtschaft und Gesellschaft. Er erinnerte daran, dass in der katholischen Soziallehre die soziale Marktwirtschaft tief verwurzelt ist. „Sie ist ein gemeinsames Gut aller in unserer Gesellschaft und muss gestärkt werden“.
Die „Gießener Botschaft“: Verantwortung und Moral müssen obenan stehen
Verantwortung und Moral als grundlegender Maßstab allen Handelns, auch des wirtschaftlichen, müssen obenan gestellt werden. Das ist für Pfarrer Dr. Karl die „Gießener Botschaft“, die von dem Symposium ausgeht. „Eine Gewinnmaximierung um jeden Preis ist inakzeptabel. Alles Handeln und Wirtschaften ist dem Leben, dem Gemeinwohl verpflichtet. Geld und Kapital hat eine dem Menschen und dem Leben dienende Funktion“. Bezugnehmend auf die Diskussionen über die Verantwortung in der Wirtschaft und in der Finanzwirtschaft appellierte er an alle Akteure in der Wirtschaft, in den Märkten und in der Politik um ein höheres Verantwortungsbewusstsein. Dies gilt aber auch für die Konsumenten.
„Wir brauchen eine gesellschaftliche Verantwortung und von da ausgehend eine Wiederbelebung des Sozialen in der Sozialen Marktwirtschaft. Wir brauchen daher ein klares und breites Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft. Hier ist auch die politische und gesellschaftliche Willensbildung gefordert“, so Pfarrer Dr. Karl.
Unternehmer bekennen sich zur gesellschaftlichen Verantwortung
Auf diesen Fokus waren die Vorträge und Diskussionen in dem Arbeitskreis „Was ist der Mensch wert?“ und die christlich-ethische Sicht dieses Konfliktfeldes sowie im Arbeitskreis „Wirtschaft und Verantwortung“ ausgerichtet. Von hier aus ergeht ein klarer Appell an die Finanzwirtschaft und an die Finanzwissenschaften, dass die ge-sellschaftliche Verantwortung und die ethischen Aspekte integrale Bestandteile ihres Handelns, ihrer Konzepte und auch ihrer Lehre werden müssen.
Der Präsident der IHK Gießen-Friedberg Rainer Schwarz hat in seinem Statement ein klares Bekenntnis des Unternehmers zur Verantwortung abgelegt. In seinen Schlussworten sagte er: „Die Wirtschaft muss ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen.“ Eigeninteresse, Gewinn und wirtschaftlicher Erfolg sind per se nichts Verwerfliches oder Unmoralisches, so Rainer Schwarz. Wirtschaftlicher Erfolg ist für ihn auch ein Zeichen für die richtige Strategie und Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Das bedeutet zugleich das Einhalten der geltenden Regeln wie eben die Steuerehrlichkeit, die Tariftreue und keine Diskriminierung, betonte er. Hier sind Politik und Gesellschaft herausgefordert, die entsprechenden Regeln und Rahmenbedingungen zu schaffen, und zwar gerade auch auf internationaler Ebene, damit für alle Wettbewerber die gleichen Regeln gelten.
„Psychologischer Zwischenruf“ zur Finanzwirtschaft: Wirtschaft und Geld sind Mittel und nicht Selbstzweck
Für Pfarrer Dr. Karl gab es ein klares Ja zu Wachstum und Gewinn. Aber klar war auch, dass die Verantwortungslosigkeit des vielapostrophierten Kasino-Kapitalismus nicht die Richtschnur sein darf. Die hiervon ausgehenden Gefahren sind vom Wetzlarer Psychoanalytiker Jürgen Hardt in seinem „Psychologischen Zwischenruf zur Finanzwirtschaft“ mit aller Deutlichkeit benannt worden. Er vertritt den Standpunkt: „Wirtschaft und Geld sollen dazu dienen, ein gutes Leben zu führen. Sie sind Mittel und nicht Selbstzweck, und wenn sie zum Selbstzweck werden, ist das ein beunruhigendes Zeichen.“
Appell an Universität und Fachbereich Wirtschaftswissenschaften: Ethik in Studiengängen berücksichtigen
Als eine Folgerung aus den Ergebnissen des Symposiums für ihn als Hochschulpfarrer plädiert Dr. Siegfried Karl dafür, Ethik in den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen an den Hochschulen stärker zu berücksichtigen. Im Interesse einer zukunftsorientierten und verantwortungsvollen Ausbildung der Studierenden und gerade auch des wirtschaftswissenschaftlichen Nachwuchses bezeichnete er die Einbeziehung von gesellschaftlicher Verantwortung als unerlässlich für die Zukunftsausrichtung von Hochschulen und Wissenschaft. In diesem Sinne hat Pfarrer Dr. Karl im Nachgang zum KHG-Symposium in Schreiben an den Präsidenten der Justus-Liebig-Universität Gießen, Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, und an den Dekan des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, Prof. Dr. Axel C. Schwickert, appelliert, Wirtschaftsethik in die entsprechenden Studiengänge fest zu implementieren und für die Einrichtung eines eigenständigen wirtschaftsethischen Lehrstuhls an der Universität Gießen plädiert.
Generation Y besser als ihr Ruf – Erwachsene sollten genauer den Jugendlichen zuhören
Ein besonderer Akzent lag auch auf dem Thema "Jugend und Wirtschaft", wo in einem Arbeitskreis darüber berichtet und diskutiert wurde, wie die junge Generation zu Verantwortung und Werten steht. Gehör finden sollten hier die Feststellungen von Josef Kaiser, Studiendirektor am Gießener Landgraf-Ludwigs-Gymnasium. „Die Generation Y ist besser als ihr Ruf, ihr Pragmatismus ist nicht unbedingt ein Nachteil“, so sein Fazit und Empfehlung aus seiner langjährigen Lehrertätigkeit. Die junge Generation wird nicht nur zum Erhalt der Rentenversicherung, sondern auch als Bündnispartner für notwendige gesellschaftliche und politische Reformen gebraucht. „Die Erwachsenen sollten den Jugendlichen genauer zuhören, ihre Ängste und Befürchtungen sollten ernst genommen worden, um so zu einem Konsens über Generationengerechtigkeit zu kommen“, so seine Empfehlung. Viele Jugendliche sind außerdem kritische Konsumenten, für die sozial und ökologisch verantwortliche Produktionsbedingungen und fairer Handel keine Fremdworte sind.
Sorgearbeit muss als gleichwertig anerkannt und öffentlich mitfinanziert werden
Im Rahmen des Symposiums wurde das für die künftige Entwicklung unserer Gesellschaft gewichtige Problem der prekären Entwicklung in der Sorge von Pflegebedürftigen in den Familien im Arbeitskreis mit dem Thema „Privathaushalt als Arbeitsplatz – die Sorgelücke füllen“ behandelt. Prof. Dr. Bernhard Emunds, Leiter des Nell-Breuning-Instituts für Wirtschaftsethik in Frankfurt-St. Georgen, und die Gießener Haushalts- und Familienwissenschaftlerin Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe haben die Problematik eindrucksvoll aufgezeigt und Lösungsansätze vorgestellt. Danach hat weltweit, aber auch in westlichen Gesellschaften die Nachfrage nach bezahlter Sorgearbeit in Privathaushalten deutlich zugenommen. Ein wichtiger Grund ist die stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen, denen keine ähnlich stark steigende Beteiligung der Männer an der unbezahlten Arbeit im Haushalt gegenübersteht. In der Arbeitswelt wird ausgeblendet, dass Erwerbstätige nach Arbeitsende für sich und in der Regel auch für andere Sorge tragen müssen. Die Arbeitszeiten im sogenannten Normalarbeitsverhältnis sind so ausgestaltet, dass es kaum möglich ist, in größerem Umfang Sorgearbeit zu übernehmen. Hinzukommt, dass Sorgearbeit nicht als Leistung wahrgenommen und nicht oder kaum finanziell honoriert wird. Prof. Emunds und Frau Professorin Meier-Gräwe haben deutlich gemacht, dass die Gesellschaft, aber auch die Arbeitgeber und vor allem die Politik bei der Lösung dieser für die Zukunft unserer Gesellschaft gewichtigen Thematik gefordert sind. Anerkennung der Sorgearbeit als gleichwertiger Beitrag zum gesellschaftlichen Leistungsaustausch ist für sie unerlässlich. „Bezahlte Sorgearbeit in den privaten Haushalten muss öffentlich mitfinanziert und reguliert werden“, so ihr Plädoyer.
Hier geht es zur Vorbericht-Pressemeldung der Wirtschaftsjunioren Gießen-Vogelsberg
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