Integration neu denken

Anstoß für ein Umdenken in der Integrationsdebatte - Es geht um die Verantwortung für den anderen Menschen – Christliche Kirchen müssen dies deutlich machen

Beitrag von Hochschulpfarrer Dr. Siegfried Karl im neuen KHG-Buch

<--break->Die Integration von Migranten aus anderen Kulturkreisen ist eine zentrale Langzeitaufgabe. Dieser großen Aufgabe müssen wir uns stellen. Wie kann die Eingliederung von Geflüchteten und MigrantInnen in unsere Gesellschaft gelingen? Die drängenden Fragen hierzu stehen im Mittelpunkt des hochaktuellen Buches, das zu Beginn des neuen Jahres  von der Katholischen Hochschulgemeinde Gießen (KHG) im Gießener Psychosozial-Verlag herausgegeben worden ist. Die in dem Band „Herausforderung Integration – Wie das Zusammenleben mit Geflüchteten und MigrantInnen gelingt“  versammelten Beiträge sollen hierzu einen Beitrag leisten und den Dialog fördern sowie die Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung überwinden helfen.

Einen besonderen Stellenwert und eine Abrundung der Gesamtthematik erhält das Buch mit dem abschließenden Beitrag von Hochschulpfarrer Dr. Siegfried Karl und seinen grundsätzlichen Überlegungen zu einer Ethik der Integration. Für ihn sind die aktuellen Diskussionen um Integration von einer Einseitigkeit gekennzeichnet, die ein großes Defizit offenlegen. Und dies ist die Abwesenheit der Frage nach dem Menschen und seiner Wertschätzung, Anerkennung und Respekt.

In seinen nachdenkenswerten Überlegungen legt Pfarrer Dr. Karl den Titel des Buches „Herausforderung Integration“ einmal anders aus, als man es gemeinhin gewohnt ist. Ihm geht es dabei nicht um die Aufgaben und Probleme, die sich bei dem Thema Integration heute und in Zukunft stellen, sondern um das Humane als die bleibende und entscheidende Herausforderung. Basierend auf dem Denken des großen französisch-litauischen Philosophen Emmanuel Lévinas will Dr. Karl einen Anstoß geben für ein Umdenken in der Integrationsdebatte.

Emmanuel Lévinas  gehört zu den bedeutendsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum seines Denkens steht der Andere, die Frage nach dem Menschen,  dem anderen bzw. fremden Menschen. Sein Denken zielt auf die Verantwortung für den Anderen. In der Beziehung zum Anderen kommt für Lévinas dem Ethischen ein besonderes Gewicht zu, er formuliert auch eine „Ethik der Achtung“. Angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise bedeutet das für Dr. Karl, Integration vom Anderen her, also vom Fremden, vom Flüchtling und vom Migranten her zu denken. Entscheidend für die gelingende Integration sind für ihn nicht organisatorische Gegebenheiten, sondern der menschliche Bezug zum Flüchtling und Migranten. Es braucht in der Begegnung mit Flüchtlingen und Migranten immer wieder Situationen des Von-Angesicht-zu-Angesicht. Die zwischenmenschliche Beziehung geht integrativen Maßnahmen voran und ist grundlegend für eine humane Integration. Für Dr. Karl laufen wir in der Konzentration auf organisatorische Strategien und strukturelle Maßnahmen Gefahr, die zwischenmenschliche Beziehung und Begegnung zu vernachlässigen.

In seinen Schlussfolgerungen aus dem Denken Lévinas für eine humane Integration plädiert Dr. Karl für ein verändertes gesellschaftliches Bewusstsein, das die Bedeutung des Fremden und die Position von Migranten anders wahrnimmt, so dass das Fremde eine fundamentale Aufwertung erfährt. Humane Integration denkt vom Fremden her, sie geht nicht vom Vertrauten und Bekannten aus, das in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft unproblematisch ist, sondern von der Erfahrung des Fremden.

Dieser Appell bedeutet auch einen Paradigmenwechsel in der gesellschaftlichen Positionierung des Fremden und Anderen. Es geht um die Verantwortung für den anderen Menschen, für den Fremden in seiner Einzigkeit und Unvertretbarkeit, und es soll das Menschliche und die Humanität gestärkt und das Ausgrenzende und Diskriminierende zurückgedrängt werden.

Die christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaften haben hier für Dr. Karl den gemeinsamen Auftrag, in der öffentlichen Diskussion immer wieder deutlich zu machen, dass es nur einen Maßstab gibt und dieses Maß ist der Mensch selbst und zwar primär der andere und fremde Mensch in seiner Einmaligkeit, die uns zur Verantwortung herausfordert.

Bibliographische Angaben zu dem Beitrag:

Siegfried Karl: Eine Ethik der Integration. Integeration neu denken mit emmanuel Lévinas. In: Siegfried Karl, Hans-Georg Burger (Hrsg.): Herausforderung Integration – Wie das Zusammenleben mit Geflüchteten und MigrantInnen gelingt. (Schriftenreihe "Dialog leben", Bd. 4). Gießen: Psychosozial-Verlag, 2018, S. 245-295.